Benckiser Weinsteinsäurefabrik

Wer oder was war Benckiser eigentlich?

Die Joh. A. Benckiser GmbH war ein von Johann Adam Benckiser gegründetes Chemieunternehmen mit Sitz in Pforzheim, Ludwigshafen am Rhein und Ladenburg, dessen Reinigungsmittelsparte Benckiser N.V. mit Sitz in den Niederlanden 1999 mit der britischen Reckitt & Coleman zu Reckitt Benckiser (seit 2021 Reckitt) fusionierte.

Aus dem Unternehmen geht die Dachgesellschaft JAB Holding mit Sitz in Luxemburg hervor, die in verschiedene Genussmittelaktivitäten investiert.

Die Anfänge der Fabrik

Johann Adam Benckiser übernahm 1823 eine sich in finanziellen Schwierigkeiten befindende und seit 1804 bestehende Salmiakhütte in der Bleichstraße in Pforzheim von ihren Inhabern Vulpius & Becht, in der aus Ammoniak und Salzsäure Salmiak hergestellt wurde. In den darauf folgenden Jahren erwarb Benckiser eine Goldwarenfabrik in Pforzheim und gründete eine Fayencen-Fabrik in Durlach.

Später lernte er den Chemiker Karl Ludwig Reimann kennen, stellte ihn um 1829 ein und ernannte ihn 1833 zum Teilhaber. Mit ihm zusammen gründete er im Jahre 1851 eine Chemiefabrik, die später Weinsäure, Zitronensäure und Frucht- und Genusssäuren für die Pharmazie und Textilindustrie herstellte.

In seinem Testament verfügte Benckiser 1844 seinen Sohn Alfons (1820–1906) sowie seinen Schwiegersohn Karl Ludwig Reimann zu seinen Nachfolgern. 1855 kauften beide für 5000 Gulden auf der Gräfenauer Dorfflur in der früheren Friesenheimer Gemarkung neben dem Ganderhof (Frankenthaler Straße 18–32) in Ludwigshafen am Rhein von dem Konkurrenten Jakob Levino eine unrentable Chemiewerkstätte auf und gründeten 1858 eine zweite Fabrik, wo sie ein Verfahren zur industriellen Herstellung von Weinsäure entwickelten.

Erste Expansion

Kurz vor Reimanns Tod wurden nach und nach eine Reihe von Grundstücken rund um den Ludwigshafener Betrieb hinzugekauft. Nach Reimanns Tod übernahm bis 1876 sein drittgeborener Sohn Arthur (1841–1929) die Leitung der Ludwigshafener Firma ehe Reimanns zweitältester Sohn Emil Reimann – ein Kaufmann – die Firma leitete. Um Mineralstoffe und Sulfate selbst herstellen zu können wurde auf dem benachbarten Dörrhorst (Jägerstraße 30; heute Benckiserplatz 1) ein weiteres Werk errichtet.

Mit Aufgabe der Produktion 1888/89 in Pforzheim wurde die Herstellung von Schwefel-, Salpeter- und Salzsäure gänzlich nach Ludwigshafen verlegt. 1889 trat Alfons Benckiser einziger Sohn, der promovierte Chemiker Theodor Benckiser in die Firma als Teilhaber ein, hielt sich aber wie sein Vater im Hintergrund, ehe 1896 Albert Reimann Senior – ebenfalls promovierter Chemiker – Nachfolger seines Vaters im Ludwigshafener Werk der Joh. A. Benckiser GmbH wurde.

Die technische Verfahrensweise, die innere Organisation und die Zielsetzung der Firma waren in die Jahre gekommen und überholt, weswegen Reimann die nötigen Umstellungen im Betrieb vornahm, neue Verfahrensideen entwickelte, auf Monoproduktion setzte und die für die damalige Zeit riesig erscheinenden großzügigen Fabrikationsgebäude errichten ließ. Die unrentabel gewordene Produktion von Schwefelsäure und Pottasche wurde noch vor dem Ersten Weltkrieg aufgegeben.

Bereits 1854 wurden erste Geschäftsbeziehungen zu Jeremiah Colman aus dem britischen Norwich geknüpft, der mit Reckitt & Sons Wäschestärke nach Ludwigshafen verkauft – der Einstieg in die Produktion von Phosphatsalzen fand im Jahr 1916 statt. Für eines von ihnen, dem sauren Natriumpyrophosphat, entwickelt sich später ein neuer Markt in der Herstellung neuartigem Backpulvers.

Der Übergang zur hochindustriellen Produktion

In der Spanne zwischen den beiden Weltkriegen stand die Firma im Stadium des Übergangs vom reinen Handwerksbetrieb zur hochindustriellen Produktion und Albert Reimann Junior – die fünfte Generation – trat 1929 in die Firma ein und die GmbH wurde gegründet.

An dieser hielten Theodor Benckiser 1/6, Reimann Junior 2/5 und Reimann Senior 13/30 der Anteile. Bereits 1929 werden erste Schmelzsalze mit dem Handelsnamen JOHA in den Handel gebracht, die zur Schmelzkäseherstellung dienen. Noch im Zeichen der Weltwirtschaftskrise begann man 1932 mit der Erzeugung von Zitronensäure. Mit Wirkung vom 27. Mai 1932 erwirbt die Firma die Lizenz zur der Herstellung von gewerblichen und Hauhaltsreinigungsmitteln auf Basis von Alkalimetaphosphat (Calgon), aber erst 1939 wird das Patent erteilt.

1935 wird das Säuglingsernährungsmittel Citretten in den Verkehr gebracht. Zum 31. Dezember 1936 zog sich Theodor Benckiser gänzlich aus der offenen Handelsgesellschaft Joh. A. Benckiser (aufgelöst im Jahr 1938) und aus der Chemischen Fabrik Joh. A. Benckiser GmbH zurück und trat seine Geschäftsanteile an Albert Reimann Senior ab, womit nach 113 Jahren die Ära der „Chemie-Benckiser“ in Pforzheim und Ludwigshafen endete.

1937 erwirbt man von dem in Mannheim wohnenden Erfinder Fritz Lux das Patent für das Kutterhilfsmittel Fibrisol, einem Gemisch aus Natriumcitricium und Kochsalz zur Schlachtblutbehandlung und Blutplasmagewinnung und man erschließt sich den Absatzmarkt der Fleisch- und Wurstfabriken.

Nach der Machtergreifung begannen die planenden Behörden in Ludwigshafen wegen der vorgesehenen Bahnhofsverlegung frühe Siedler aus dem Bannkreis der wachsenden Stadt zu verdrängen, weswegen sich die Firma im badischen Ladenburg nahe dem Neckarkanal neu zu etablieren versuchte und 1940 circa 300.000 Quadratmeter Grund erwarb und 1941 ein weiteres Werk „auf der grünen Wiese“ errichtete.

Im November 1943 tritt Reimann Senior vom Amt als Betriebsführer zurück und ernennt seinen Sohn zum neuen Betriebsführer. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs beschädigen viele Luftangriffe auf Mannheim und Ludwigshafen Produktionshallen der Firma bis zum Totalschaden.

Der Nationalsozialismus – Zweiter Weltkrieg

Der Chemiker Reimann Senior war NSDAP-Stadtrat in Ludwigshafen und von 1933 bis 1937 Vizepräsident und von 1937 bis 1941 Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) für die Pfalz, später Mitglied des Beirates der Wirtschaftskammer Ludwigshafen und Vertrauensmann für wehrwirtschaftliche Fragen im Reichswirtschaftsministerium. Am 8. September 1939 wurde der Firma von der IHK bescheinigt, dass sie als W-Betrieb kriegs- und lebenswichtige Aufträge auszuführen hat. Vater und Sohn waren überzeugte Nationalsozialisten.

Schon zu Hitlers Machtübernahme 1933 stellte sich das damals mittelständische Unternehmen – die Mitarbeiterzahl von 181 im Jahr 1933 stieg auf 650 während des Zweiten Weltkriegs an – als NS-Musterbetrieb auf.

Im Juli 1937 schrieb Reimann Junior an den SS-Chef Heinrich Himmler: „Wir sind ein über hundertjähriges, rein arisches Familienunternehmen. Die Inhaber sind unbedingte Anhänger der Rassenlehre.“ Das Unternehmen erfuhr wegen des hohen Anteils an Zwangsarbeitern einen großen Aufstieg. Reimann Junior war für seine Grausamkeit insbesondere gegen Zwangsarbeiterinnen bekannt und stellte sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Opfer der Nazis dar. Reimann Senior wie auch Reimann Junior wurden nach dem Krieg in der Entnazifizierung als Mitläufer eingestuft.

Während Reimann Junior vom Juli 1945 bis März 1946 im Internierten Lager für NS-belastete Personen in Württemberg-Baden in Kornwestheim verblieb, war sein 1939 in die Firma als Personalleiter eingetretener Schwager, der SS-Unterscharführer und Diplomkaufmann Hans Dubbers, von Juli 1945 bis April 1948 interniert.

Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Geschichte fand erst sehr spät, nämlich ab 2016 statt, mit ersten Veröffentlichungen 2019, was dem Konzern wie den Reimann-Nachfahren Kritik an der Vergangenheitsbewältigung einbrachte.

In der Nachkriegszeit

Mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht wurde die Chemische Fabrik bis zum 30. Juni 1950 unter Zwangsverwaltung gestellt. Vater und Sohn Reimann durften auf Jahre hin das Werk nicht mehr betreten und wurden bis Juli 1950 von der Geschäftsführung entbunden. Zunächst erhält die Firma von der Militärregierung die Produktionsgenehmigung für JOHA und Fibrisol wieder, hatte aber auch Reparationen zu leisten.

In den Jahren 1947 bis 1948 wurde erstmals Kalisalpeter produziert. Erst im Oktober 1948 kann die Produktion von sauren Natriumpyrophosphat, Calgon und Calgonit wieder aufgenommen werden. Die Jahre 1950 bis 1953 stehen ganz im Zeichen des Wiederaufbaus des Ludwigshafener Werks. Infolge des neuen Betriebsverfassungsgesetz wurde die Firma ab 1953 von ein Aufsichtsrat kontrolliert. Das Chemieunternehmen Benckiser entwickelte im Zeitraum des Wirtschaftswunders ab 1956 Haushalts- und Industriereiniger und steigerte den notwendigen Werbe- und Marketingaufwand. Die Marken Calgon (1956) für den Haushalt, das Maschinengeschirrspülmittel Calgonit (1964), Clearasil, Sagrotan und Quanto (1966) werden entwickelt.

Dagegen wurde die Pharma-Sparte 1961 aufgegeben. Bis zum Jahr 1960 steigt die Mitarbeiterzahl auf 1103 an. Im Jahre 1963 wurde Martin Gruber zum Einkaufsleiter des Chemieunternehmens verpflichtet. 1967 wurde zusammen mit der Firma Hoechst die paritätische Tochtergesellschaft, die Benckiser-Knapsack GmbH in Ladenburg gegründet, in der die Joh. A. Benckiser GmbH ihr gesamtes Phosphatgeschäft (außer Reiniger und Markenartikel) und Hoechst den Phosphatbereich (der Firma Albert aus Wiesbaden-Biebrich) einbrachte.

Die Verlegung der Produktionsbetriebe ins Werk Ladenburg erfordern bis zur finalen Einweihung 1971 hohe Investitionssummen, schaffte aber auch der Stadt Ludwigshafen mit der nun endlich durchgeführten Bahnhofsverlegung in den Dörrhorst neue Entwicklungsmöglichkeiten. Laut Capital (Heft 10/1974) platzierte die Joh. A. Benckiser GmbH auf Rang 208 der größten deutschen Firmen für das Jahr 1973. Zum 1. September 1978 ernannte Reimann Gruber zum Hauptgeschäftsführer.

Expansion, Umbau und Fusion mit der Reckitt & Colman

Nach dem Tod von Reimann Junior 1984 erbten neun Geschwister der Familie Reimann das Unternehmen. Jedem der von Reimann Junior adoptierten Kinder wurde der gleiche Erbanteil an Joh. A. Benckiser zugesprochen. Geschäftsführer Martin Gruber holte Peter Harf Anfang der 1980er-Jahre von der Unternehmensberatung Boston Consulting Group. Dieser baute das Chemieunternehmen radikal um und beschränkte sich dabei auf die Sparten Waschen, Spülen, Reinigen und Kosmetik.

Er stieß einige Sparten ab und kaufte über 25 Firmen in den USA, Italien, Spanien und Großbritannien auf. Während der Umsatz Anfang der 1980er-Jahre gerade einmal bei rund 250 Millionen Deutschen Mark lag, wurde er innerhalb eines Jahrzehnts auf das Zehnfache gesteigert. Anfang der 1990er-Jahre holte Peter Harf Bernd Beetz ins Unternehmen, der von 2001 bis 2012 die Leitung von Coty Inc. innehatte.

Ende 1989 wurden die Sparten Benckiser Deutschland GmbH als Vertriebsgesellschaft in Ludwigshafen am Rhein und Ladenburg und Benckiser Produktions GmbH gebildet. 1992 erwarb Benckiser den Kosmetik-Hersteller Coty Inc. für 440 Millionen Dollar von Pfizer. Peter Harf spaltete das Unternehmen im Jahre 1996 in zwei Teile auf: Benckiser für Reinigungsmittel und Coty für den Kosmetikbereich.

Im Jahre 1997 ging die Benckiser N.V. an die Amsterdamer Börse. Die vier Adoptivkinder des Familienzweiges Reimann-Dubbers (Günter Reimann-Dubbers, Volker Reimann-Dubbers, Hans Gerhard Reimann-Dubbers und Hedwig-Else Dürr, geborene Reimann-Dubbers) verkauften 1997 ihre Anteile. Mitte 1999 fusionierte die börsennotierte Benckiser N.V. mit dem britischen Konzern Reckitt & Colman und wurde zu Reckitt Benckiser. Die Gesellschaft erwirtschaftet im Jahre 2000 schon rund 3,2 Milliarden Pfund (gut 4,2 Milliarden Euro).

Andrea Reimann-Ciardelli trennte sich 2003 von ihrem Erbanteil. Die verbliebenen Geschwister Renate Reimann-Haas und Wolfgang Reimann sowie deren Halbgeschwister Stefan Reimann-Andersen und Matthias Reimann-Andersen verwalten seit 2012 ihre Vermögenswerte in der JAB Holding mit Sitz in Luxemburg.

Johann Adam Benckieser

Johann Adam Benckiser war ein deutscher Unternehmer und Gründer des Chemieunternehmens Joh. A. Benckiser GmbH. Vorher führte er die Eisengießerei seines Großvaters und später die Durlacher Fayence-Fabrik seines Vaters. 1823 erwarb er eine Salmiakhütte in Pforzheim und stellte den Chemiker Karl Ludwig Reimann ein, woraus eine Chemiefabrik wurde. Benckiser hatte sieben Söhne und acht Töchter und seine Tochter Elise heiratete Karl Ludwig Reimann. Seine Nachfahren fusionierten das Chemieunternehmen Benckiser mit Reckitt & Colman und gründeten die JAB Holding. Heute gehört die Familie Reimann zu den reichsten Familien Deutschlands.

Quellen: WebArchiv